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Januar 2012: Bergfinken-Spektakulum
2 Millionen und noch mehr



Manch einem ist vielleicht der Massen-Einflug von Bergfinken im Winter 2009/2010 nahe der Schweizer Grenze bei Görwihl noch in Erinnerung (mehr Infos). Seit wenigen Tagen nun gibt es Berichte, dass bei Tübingen ein ähnliches Spektakel stattfindet. In der Tübinger Ornithologen-Mailingliste tauchten Berichte auf, wonach sich riesige Schwärme zur Übernachtung im Golderbach einfinden sollen. Nils Anthes, Ornithologe aus Tübingen hat uns erlaubt, seine Beobachtungsberichte und auch ein paar seiner Fotos zu verwenden. Vielen Dank dafür!

11.01.2012 - Nils Anthes schreibt: Noch ein paar Infos zum Bergfinken-Spektakel von gestern Abend (10.01.2012):

Lage: SW der Diebsteigbrücke im Großen Goldersbachtal (siehe Karte links). Die Vögel nutzen zum Sammeln die umliegenden Buchenbestände (vgl. Fotos - unscharf und vor Aufregung ganz wackelig, aber immerhin ein erster Eindruck, und fliegen zum Schlafen nach und nach in die (Jung-)Fichtenschonungen sowie den Buchenjungwuchs ein.

Uhrzeit: Den eigentlichen Schlafplatz habe ich erst recht spät entdeckt, daher können erst weitere Beobachtungen in den nächsten Tagen den zeitlichen Ablauf besser abbilden. Der Anflug beginnt sicherlich schon gegen 15 Uhr, zu dieser Zeit sind in jedem Fall schon einige Trupps im Goldersbachtal in Richtung SP unterwegs. Gegen 16:15 waren mind. schon mehrere 100.000 Vögel in der Nähe des SP, vermutlich aber schon deutlich mehr in den umliegenden Waldhängen. Gegen 16:45 dürfte der Großteil der Vögel an den Sammelplätzen in direkter Nachbarschaft des SP anwesend gewesen sein. Gegen 17:10 saß ein Großteil der Vögel bereits dicht gedrängt im Innern der Jungfichten. Gegen 17:25 waren praktische alle Vögel an ihren Schlafplätzen und fleißig dabei, sich geschwätzig die Erlebnisse des Tages zu berichten. Letzteres ist ein guter Zeitpunkt, um die exakten räumlichen Ausmaße des SP zu erfassen. Auf einer solchen ersten Abschätzung beruht die Karte im Anhang.

Anzahl: Ich fand den SP deutlich zu spät, um den Anflug auch nur ansatzweise systematisch zu erfassen. Generell ist dies aufgrund des unübersichtlichen Geländes und des recht diffusen Anflugs aus verschiedenen Richtungen sicherlich nicht einfach (vgl. Foto). Gegen 16:45, als sich ein erheblicher Teil der Ansammlungen gleichzeitig in die Luft machte, schätzte ich grob 2 Mio. Individuen. Angesichts der Ausmaße des SP vermute ich aber, dass es eher mehr sind: Im Winter 2008/2009 nächtigten in Österreich 4-5 Mio. Bergfinken auf gerade einmal 2,26 ha Fläche (Khil et al. 2011, Limicola 25:81-100) - die Fläche der als SP genutzten dicht bestandenen Fichtenschonungen im Goldersbachtal betrug gestern grob abgegrenzt dagegen etwa 10-15 ha (wobei ich natürlich die Dichte der Vögel im Vergleich zu Österreich überhaupt nicht einschätzen kann).

Prädatoren: 2 Sperber, 1 Habicht und 2 Wanderfalken waren gestern am Sammelplatz aktiv. Erfolgreiche Attacken habe ich nicht sehen können.

Dauerhafter Schlafplatz? Ich gehe davon aus, dass der SP bereits während der letzten Tage an selber Stelle bestand. Alle bislang gemeldeten Beobachtungen (nahe Bebenhausen, Kayh, Heuberger Tor) betreffen größere Sammelplätze, die am späten Nachmittag aufgesucht wurden, und von denen aus die Vögel vermutlich anschließend den eigentlichen SP anflogen. Zumindest wurde von keinem dieser Orte bislang vom eigentlichen Einflug in Schlafbäume (erfolgt erst gegen 17 Uhr) berichtet.

Noch 2 Bitten:

(a) Um den weiteren Verlauf der SP-Besetzung sowohl zeitlich als auch hinsichtlich des Bestandes zu dokumentieren, bitte unbedingt JEDE Beobachtung am SP (oder auch sonst Beobachtungen größerer Gruppen) weiterhin im E-Mail-Verteiler, in MiniAvi oder in Ornitho.de dokumentieren. Jeder Hinweis ist wichtig - gerade auch wenn die Bestandsgröße wieder abnimmt - um die Phänologie beschreiben zu können. Auch über die aktuelle Größe des Bestandes werden wir ein besseres Bild bekommen, wenn weitere Leute mit Erfahrung im Schätzen großer Vogelschwärme ihre Eindrücke mitteilen.

(b) Die Vögel lassen sich hervorragend von den öffentlichen Wegen aus beobachten, fotografieren, filmen - bitte NICHT in den SP reinlaufen!

Viel Erfolg!

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13.01.2012 - Neue Infos, Nils Anthes schreibt:

Gestern ließ sich die Lage am SP mit etwas mehr Vorlauf konkretisieren.
Was den Bestand angeht, bleiben die Schätzungen extrem vage - der Zuflug zwischen ca. 15:45 und 16:45 ist derart massiv aber gleichzeitig diffus aus allen Himmelsrichtungen durch die Baumwipfel, dass an eine geordnete Erfassung kaum zu denken ist. Mein persönliches Bauchgefühl: eher Größenordnung 5 Mio. plus ...

Basierend auf einem Luftbild und der Ausdehnung des SP (gegen 17:20) habe ich die SP-Fläche (sprich die Fläche der tatsächlichen Fichtenbestände, in denen die Vögel schlafen) nochmals genauer abgegrenzt, in der Summe ca. 29ha! (Neben-SP ca. 7ha, Haupt-SP ca. 22ha, siehe Karte).

 

Hier auch ein kleiner Eindruck per Video.

youtube download

Fotos, Film und Bericht: Nils Anthes

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14.01.2012 - In der Online-Ausgabe des Schwäbischen Tagblatts wurde ein schöner Artikel veröffentlicht - auch ein Video-Kurzbericht ist dort zu sehen.

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15.01.2012 - Update von Nils Anthes

Neben dem spektakulären abendlichen Einflug der Finken, den sich im Laufe des Wochenendes sicher die meisten schon einmal zu Gemüte geführt haben, empfiehlt sich der morgendliche Abflug für eine deutlich "geordnetere" Wahrnehmung der kompletten Vogelmenge. Der Ablug erlaubt auch (im Gegensatz zum Einflug) eine systematische Schätzung des Bestandes.

Heute morgen haben wir zu sechst (Namen gelöscht) von Positionen rund um die Schlafplätze die Abflugrichtungen erfasst und systematische Bilderserien für die Auszählung angefertigt.

Der Abflug begann heute schlagartig um 7:58 und endete ebenso schlagartig um 8:29. Dabei flogen beide Schlafplätze komplett (!) das Goldersbachtal aufwärts (also Richtung Herrenberg) ab. Das scheint allerdings tageweise zu schwanken, bereits gestern früh beobachtete Tobias Gerlach, dass alle (!) Finken talabwärts Richtung Bebenhausen abflogen. Die Richtung scheint also morgens im Bergfinken-Plenum recht kurzfristig beschlossen zu werden...

In Richtung der geschlossenen Waldbereiche nach Norden und Süden konnten wir keinen Abflug feststellen, allerdings flogen aus diesen Wäldern ca. ab 7:40 weitere kleinere Trupps ein, die wohl etwas abseits der zentralen SP geschlafen hatten.

Die Auszählung ist bislang nur für den Neben-SP abgeschlossen (die Bilder für den Haupt-SP sind heftig ... das wird ein bisschen dauern ;-)). Vom Neben-SP flogen zwischen 7:58 und 8:23 ca. 1,01 Mio. (0,825-1,2 Mio; 95% Vertrauensber.) Bergfinken ab.

Nochmal die Bitte, ALLE Bergfinken-Beobachtungen (gerade auch die kleineren Trupps in der weiteren Umgebung) zu dokumentieren. Das wird helfen den Einflug nachzuzeichen, ebenso wie bspw. den Einzugsbereich des SP (der offensichtlich deutlich über den Schönbuch hinausreicht).

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19.01.2012 - Zum Abschluss?

Zwischenzeitlich scheinen sich die Bergfinken-Zahlen nur noch im Tausender-Bereich zu bewegen und in der Tübinger Ornithologen-Newsgroup lag der Schwerpunkt der Diskussion bei der Frage, ob es richtig gewesen sei, die ganze Geschichte öffentlich bekannt zu machen, weil es eben auch Fehlverhalten einzelner Personen gegeben habe. Die Mehrheitsmeinung ist jedoch die, dass die Veröffentlichung viele seither weniger interessierte Mitmenschen der Natur ein wenig näher gebracht habe.

Als Abschluss dieses Berichts soll deshalb die heutige E-Mail von Nils Anthes dienen, der sehr wesentliche Gedanken äußert und am besten wörtlich zitiert werden sollten:

"Die angeregte Diskussion im Forum gestern hat sicherlich daran erinnert, dass wir immer alle aufgerufen sind, bei unangebrachtem Verhalten Einzelner auf diese zuzugehen und um entsprechende Rücksichtnahme zu bitten. Was in den Beiträgen tlw. etwas unterging: Die in den letzten Tagen am Schlafplatz anwesenden Besucher (insgesamt einige Hundert) haben sich zum allergrößten Teil völlig korrekt und erfreulich angemessen verhalten, und das Schauspiel ruhig und von den Wegen aus beobachtet. Ein paar lautere Stimmen hier und da, der Ruf nach einem Kind etc. stellt m.E. keinerlei Problem dar. Die sehr erfreuliche Tatsache, dass hier viele Leute ein wirklich tolles Schauspiel erleben konnten, sollten wir in keinem Fall aus den Augen verlieren.

Das macht natürlich einzelne "Ausreißer", die sich deutlich fehlerhaft verhalten, nicht besser. Man sollte sich aber bewusst sein, dass solche punktuellen Störungen (so lange niemand großflächig den SP abgrast), keine relevante Wirkung haben dürften.
Vor diesem Hintergrund sei daran erinnert, was die Finken alles recht anstandslos in Kauf nehmen: dauernde Attacken von Wanderfalken/Sperbern/Habichten während des Einflugs; nächtliche Attacken durch Eulen; an vielen SP unmittelbare Nähe zu vielbefahrenen Straßen (auf denen jeden Abend Hunderte Finken zu Tode kamen); an diversen SP in den letzten Jahrzehnten z.T. umfassenden Fang Tausender Vögel inmitten des SP zur wissenschaftlichen Vogelberingung; und noch bis vor Hundert Jahren die gezielte und z.T. massive Jagd mit dem Blasrohr (die berühmte Bohämmer-Jagd).

In den vergangenen Jahren wurden auch andere SP (z.B. in der Schweiz, Österreich, Südschwarzwald) breit publik gemacht, tlw. mit über 500 Besuchern an einzelnen Tagen - und das über viele Wochen hinweg. Wie mir zwischenzeitlich dort ansässige Ornithologen berichten, gab es auch dort immer wieder Einzelne, die sich massiv fehlverhalten haben - eine Auswirkung auf die SP-Besetzung war in keinem Fall festzustellen. Diese Einschätzung bestätigte mir auch Lukas Jenni (Vogelwarte Sempach), der sich Jahrzehnte intensiv mit Bergfinken-SP beschäftigt hat.

In unserem Fall machte (auch mich) insbesondere die zeitliche Koinzidenz zwischen dem ersten großen Aufkommen von Besuchern (ab Sa/So) mit der starken Abnahme des Bestandes (gestern wohl nur noch wenige 1000) stutzig. Inzwischen zeigt sich jedoch auch hier, dass wir Zeuge eines großräumigen Phänomens werden: Zeitgleich wird derzeit sowohl ein zweiter SP in BaWü, als auch der große SP im Schweizer Jura (...) geräumt. In der Schweiz begann die Abnahme bereits am Sonntag, inzwischen ist der SP wohl nahezu leer.

Um auf die von mir selber vorgestern gestellte selbstkritische Frage zurückzukommen ("War es ein Fehler, das Ganze publik zu machen.."): Für mich persönlich ist die Antwort inzwischen (im Einklang mit einigen anderen Beiträgen) ein klares Nein!
Gerade jetzt bleibt es aus meiner Sicht spannend zu verfolgen, wie sich der Einflug in diesem Winter weiter entwickelt. Wohin verlagern sich die Finken, entstehen neue SP? Womit lassen sich die Räumungen in Zusammenhang setzen? Daher also abschließend wieder die Bitte, Berginken-Beobachtungen weiterhin wie üblich zu notieren. Spannend wären zudem grobe Schätzungen für den SP-Bestand im Goldersbachtal in den letzten Tagen - hat jemand hierüber noch Aufzeichnungen?"

Ein ganz dickes Dankeschön an Nils Anthes für die Zurverfügungsstellung der ganzen Unterlagen!

 

Weitere Infos zum Bergfink beim NABU unter http://www.nabu.de.

 

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